Kunstwelten II
„Ich denke, also bin ich“.
René Descartes philosophische Betrachtung über die Erkenntnisfähigkeit wurde mehrfach umformuliert. Wer Bilder von Reinhold Tappeiner betrachtet, darf sich sicher sein: „Ich sehe, also bin ich“. Der Maler lässt uns sehen, was wir zu sehen imstande sind. Ein Dialog beginnt, der die Faszination seiner Bildwelten ausmacht. Der Farb- und Schichtenforscher ruft auf, sich zu erinnern – oder die Fantasie fliegen zu lassen.
In manchen Bildern ist ein Annähern an asiatische Kalligrafie sichtbar, in anderen sind Formen des taoistischen Berges Sanqing zu entdecken. Die grauen, braunen Farben des Vinschgauer Sonnenberges liegen nicht weit.
Auffallend ist die Energie, die den Bildern aus Marmormehl, Kalk und selbst gemischter Ei-Tempera innewohnt. Sie treibt an und inspiriert zugleich, innezuhalten. Abgerufen werden nicht nur bekannte Bildwelten, auch Verborgenes drückt sich hinter die Netzhaut des Schauenden. Auffallend ist auch das ungewöhnliche Format.
Die Arbeiten des akademischen Malers – Träger des nationalen Fabio Bertoni-Preises der Accademia di Belle Arti di Urbino – fordern die eigene Innenwelt heraus. Vereinigung oder Trennung, Metamorphose oder Mutation? „Die Farben von Reinhold Tappeiner sind nie schreiend“, formuliert der Begründer der Farbenlehre nach Küppers, Harald Küppers. Trotz der Suche nach unbekannteren Tönen und dem Aufdecken von Vielschichtigem – sei es in Material, Komposition oder Bedeutung – wagt Tappeiner, die Interpretationsmöglichkeit einzelner Töne aufzuzeigen. Indem er durch Kontrastierung die Spielvarianten auslotet und neues Licht auf Bekanntes wirft. Die Bedeutung des Zitates „Plus ça change, plus c‘est la même chose“ könnte umgedreht werden: Was zu Beginn ähnlich oder bekannt scheint, öffnet im Laufe des Betrachtens immer wieder neue Perspektiven.
Katharina Hohenstein
Veröffentlicht in Kunstwelten II, boesner holding + innovations (Hrsg.),2013
Eitempera auf Papier 100 x 25 cm - ohne Titel
2011-2012